Anhänger und Kultpersonal
Mit Hilfe von knapp über 1000 inschriftlichen Belegen von Mithrasgläubigen ist man heute in der glücklichen Lage, ein einigermaßen zuverlässiges Bild der sozialen Struktur der Anhängerschaft zu zeichnen. Im Gegensatz zur bisherigen Meinung, dass der Mithraskult eine ausschließliche Soldatenreligion sei, kann heute festgehalten werden, dass sich die Gruppe der Kultanhänger aus einem Mix von Soldaten, niederen staatlichen Angestellten, Sklaven im staatlichen Dienst und Freigelassenen zusammengesetzt hat. Dass Frauen am Kult beteiligt waren, konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden, weshalb davon auszugehen ist, dass im Mithraskult wohl keine Frauen teilnehmen durften.
Zur Frage nach dem Kultpersonal im Mithraskult hat sich in den letzten Jahren eine rege Diskussion entfaltet.
Hauptgrundlage für diese Diskussion bildet die allgemein anerkannte Annahme, dass es im Mithraskult eine sieben stufige Hierarchie, die so genannten sieben Weihegrade, gegeben habe. Die einzelnen Grade lauten in ihrer Reihenfolge: corax (Rabe), nymphus (Bräutigam?), miles (Soldat), leo (Löwe), perses (Perser), heliodromus (Sonnenläufer), pater (Vater). Zum Problem entwickelte sich die unterschiedliche Beurteilung der Bedeutung der Weihegrade.
Nach einer Untersuchung der Inschriften hinsichtlich der Angaben von Weihegrade ist der Althistoriker Manfred Clauss zu dem Ergebnis gekommen, dass gerade 16 % der erwähnten Personen ihren Grad nannten. Des Weiteren stellte er fest, dass die beiden Grade leo und pater mit 24 % und 72 % eine deutliche größere Präsenz gegenüber den anderen Graden gehabt haben, was sich nicht durch die Fundlage erklären lässt.
Für M. Clauss steht fest, dass die geringe Erwähnung der Weihegrade in den Inschriften darauf zurückzuführen ist, dass es sich bei diesen Personen um Kultpersonal gehandelt haben müsste, und er sieht eine deutliche Trennung zwischen dem normalen Gläubigen, der eine einfache Initiation erhalten haben dürfte, und dem „professionellen“ Kultpersonal, das sich in die Grade hat einweihen lassen. Darüber hinaus sieht er in der überproportionalen Nennung der beiden Grade leo und pater eine Hierarchie, in der der Grad des leo eine Art Zwischenposition auf dem Weg zum pater dargestellt haben dürfte. Bei den Graden hat es sich nicht um Grade für „Jedermann“ gehandelt. Dies glaubt M. Clauss daran zu erkennen, dass die Einweihung in die Priestergrade astronomische und astrologische Kenntnisse, sowie Zeit und vielleicht auch Geld erforderten und daher nur von einem begrenzten Personenkreis, der zum einen die Möglichkeiten hatte und zum anderen den Ehrgeiz dazu überhaupt aufbrachte, unternommen werden konnte.
Ganz entschieden tritt dem Reinhold Merkelbach gegenüber, der M. Clauss vorwirft, er habe Strukturen des Christentums – die Trennung zwischen hauptamtlichen Personal und Gläubigen – auf den Mithraskult übertragen. Daneben sieht er nicht ein, warum ein Dedikant auf seiner Inschrift unbedingt seinen Weihegrad hätte angeben müssen. Für ihn steht vielmehr fest, dass sich jeder Mithrasanhänger hat einweihen lassen und in der Hierarchie der Grade nach oben aufsteigen konnte. Eine eigene Schicht an Kultpersonal hat es nach seiner Meinung nicht gegeben, vielmehr haben die verschiedenen Grade die Aufgaben im Kult wahrgenommen.
Inwieweit die Vorstellung von einer Seelenwanderung zum Fixsternhimmel im Zusammenhang mit den Weihegraden gestanden hat, kann kaum beantwortet werden. Diese im antiken Denken weit verbreitete Vorstellung geht davon aus, dass die menschliche Seele bei der Geburt aus dem Fixsternhimmel, der hinter den damals bekannten Planeten gelegen hat, zum Menschen auf die Erde gekommen ist. Auf diesem Weg nahm die Seele von den Planeten Saturn, Iuppiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond die verschiedensten Eigenschaften auf, wie zum Beispiel den feurigen Mut vom Mars oder das logische Denken vom Saturn. Am Ende des Lebens konnte die Seele wieder zu seinem Stern zurückkehren, wobei ein würdiges Leben dazu vorausgesetzt wurde. Damit der Mensch dies erreichen konnte, ließ er sich, so vermuten moderne Forscher, in die Mithrasmysterien einweihen und durchschritt die siebenstufige Leiter.
Heiligtümer und Kultbild
In den Kultanlagen des Mithras folgt der Hauptkultraum bis auf wenige Ausnahmen weitestgehend einem gleichen dreiteiligen Aufbau. Von einem Vorraum aus betrat man über eine Treppe den tiefer gelegenen Kultraum. In diesem Raum befanden sich rechts und links von einem nochmals tiefer gelegenen Mittelgang zwei Podien. Diese dürften den Gläubigen zum Liegen bei einem Kultmahl gedient haben. Am Ende des Kultraumes befand sich ein quergelagerter Raum, der in vielen der Heiligtümer eine Nische enthielt, in der sich das Hauptkultbild befand, ähnlich dem Standort eines Altars in christlichen Kirchen.
Besonders auffällig ist die geringe Größe der Kultanlagen, die so nur einer begrenzten Menge an Personen Platz geboten haben können. Bei einer Vergrößerung der Kultgemeinde über die fassbare Menge des Mithräums hinaus wurde nicht der Kultraum erweitert, sondern es wurde vielmehr ein zweites oder weitere Mithräen in unmittelbarer Nähe errichtet. Sehr deutlich dokumentiert dies der Fund von vier Mithräen bei Nida-Heddernheim in Hessen oder die Funde von bislang 17 Mithräen im Stadtgebiet der antiken Hafenstadt Ostia.
Grundsätzlich können zwei verschiedene Typen von Mithräen unterschieden werden, einerseits die Ausgestaltung eines Mithräums in einer natürlichen Höhle oder Grotte, andererseits ein zu diesem Zweck erbauter Tempel, wobei man hier auch die Funde von Mithräen mitrechnen muss, die in einem bereits bestehenden Gebäude errichtet worden sind, also alle die, bei denen Räume zu Mithräen umfunktioniert worden sind, was besonders in Ostia zu beobachten ist.
Die Untersuchungen an den erbauten Tempelanlagen haben gezeigt, dass von den Erbauern der Versuch unternommen wurde, ihr Heiligtum möglichst ähnlich einer Höhle zu gestallten. Zu diesem Zweck wurde zum einen der Hauptkultraum vertieft angelegt, zum anderen wurde eine rund gewölbte Decke konstruiert, um so den Eindruck einer Höhle noch zu verstärken.
Die Gründe für solch eine Anlage, sei es in natürlichen Höhlen oder die Imitation dieser, sind in der Mithraslegende selber zu finden. An erster Stelle ist hier die Geburt des Mithras zu erwähnen, er gilt als der aus dem Stein geborene Gott, womit die Höhle den Geburtsort des Gottes darstellt.
Neben der Geburt des Gottes gilt seine heilbringende Tat, die Tötung des Urstieres in einer Höhle, als mögliche Ursache für die Verwendung von diesen oder deren Nachbau als Kultraum.
Das in vielen Mithräen gefundene Hauptkultbild zeigt als ein zentrales Element innerhalb der Reliefs oder eines aufgemalten Bildes genau diese Tat des Mithras.
Diese zentrale Tat ist immer gleich dargestellt: Der Gott kniet auf dem Rücken des Tieres, zieht den Kopf nach hinten und sticht seinen Dolch in die Flanke des Stieres. Dies soll die Entstehung der Welt und des Kosmos darstellen, symbolisiert durch die aus dem Schwanz des Stieres wachsenden Getreideähren oder dem blau gemalten und mit goldenen Sternen versehenen Mantel des Gottes. Aussagen, welche tieferen Vorstellungen die Mithrasanhänger noch mit diesem Bild verbanden, können aufgrund der Quellenlage nicht getroffen werden und sind spekulativ.
Neben der Tötung des Stieres werden noch weitere Motive aus der Mythologie des Mithras rechts und links in kleineren Illustrationen vom zentralen Bild dargestellt, wobei eine feste Reihenfolge der Rahmenhandlungen nicht zu erkennen ist. Vielmehr hat sich gezeigt, dass individuelle und lokale Besonderheiten bei der Gestaltung eine Rolle gespielt haben.
Häufig finden sich im Rahmen dieser Nebendarstellungen die Bilder einer Jagd und einem anschließenden Kampf gegen den Stier, wie zum Beispiel der friedlich grasende Stier, der anschließend von Mithras gejagt, gefangen und fortgetragen wird. In weiteren Bildern wird die Tötung des Tieres in einer Höhle dargestellt. Hinzu kommen noch Darstellungen von der Geburt des Mithras aus einem Stein, dann ein Bildzyklus von dem so genannten Wasserwunder, bei dem Mithras mit Pfeil und Bogen gezeigt wird und er auf einen Felsen schießt, aus dem anschließend Wasser fliest, sowie Bilder von Mithras und dem Sonnengott Sol, die unter anderem bei einem gemeinsamen Mahl gezeigt werden. Weitere dieser kleinen Bilder sind in ihrer Interpretation schwieriger und werden unterschiedlich gedeutet. Es werden in manchen Fällen verschiedene Personen gezeigt, die als römische Götter angesehen werden, wie zum Beispiel auf einem Stiertötungsrelief, das in Osterburken gefunden wurde. Die Bildreihe auf der linken Seite zeigt von oben nach unten Folgendes: den Sonnengott, auf einem Viergespann stehend, zum Himmel hinauffahrend; die Geburt des Mithras aus einem Stein; Saturn, sich ausruhend, mit einer Sichel in der Hand; Iuppiter beim Erschlagen der Riesen; drei Göttinnen, die als die Parzen (Schicksalsgöttinnen) gedeutet werden; der Sonnengott Sol mit einem Globus in seiner Hand emporsteigend; der Kopf eines Mannes in einem Kreis (Sonnenaufgang?).
Zeugnisse
Ähnlich so vieler antiker Phänomene sind auch vom Mithraskult fast ausschließlich nur archäologische Zeugnisse erhalten geblieben. Die wenigen schriftlichen Hinterlassenschaften dagegen beschränken sich auf Inschriften, die keine Informationen zur Gedankenwelt des Gläubigen, zu Ritualen und den dabei stattfindenden Gesängen, Gebeten und Tänzen enthalten.
Neben zahlreichen Einzelfunden von Gegenständen, die dem Mithraskult zugeordnet werden können, sind die Entdeckungen der Mithrasheiligtümer (sog. Mithräen) und deren Inhalt, die Hauptquelle für diesen Kult. Das Verbreitungsgebiet des Kultes lässt sich an den Fundstellen der Mithräen bestimmen. Die Mehrzahl der Heiligtümer wurde in den germanischen Provinzen, in den Provinzen entlang der Donau und Italien entdeckt. Vom östlichen Teil des Imperiums sind bis auf wenige Ausnahmen kaum Mithräen bekannt, gleiches gilt auch für Hispanien, Gallien und Nordafrika.
Herkunft
Der Name Mithra kann bis ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgt werden. Auf einer Tontafel aus dem 14. Jahrhundert v. Chr., gefunden im türkischen Boghaz-köy (Hattussa, die Hauptstadt des Hethiterreiches), ist der Name Mithra unter den Schutzgottheiten für Verträge zwischen den Hethitern und ihren Nachbarn notiert.
Neben diesem Zeugnis begegnet uns dieser Gott in den darauf folgenden Jahrhunderten auch noch im indischen und iranischen Raum, in denen er, neben der Verehrung als Schutzgottheit für Verträge, auch als Sonnengott in Erscheinung tritt.
Der älteste Beleg für die Verehrung des Mithras im römischen Reich stammt aus der Stadt Doliche in Kommagene/Kleinasien. Hier wurde ein Mithrasheiligtum gefunden, dessen Entstehung in die Zeit zwischen 50 und Christi Geburt gesetzt werden kann.
Eine Kontinuität zwischen dem Mithra auf den Tontafeln des zweiten vorchristlichen Jahrtausends und dem im römischen Reich verehrten Mithras wurde jahrzehntelang in der Mithrasforschung als Gesetzmäßigkeit angesehen, wird aber heute von der Mehrzahl der Forscher nicht mehr angenommen, da dies durch die bisher gefundenen archäologischen Zeugnisse nicht mehr gestützt wird.
Die Entstehung des römischen Mithras liegt noch im Dunkeln. Ob die Entstehung des Mithraskultes im römischen Reich das Ergebnis eines „unbekannten religiösen Genies“ ist, der entweder ein kosmisches Phänomen zu einer neuen Religion verarbeitete oder sich aus dem reichen Fundus an religiösen Ideen und Vorstellungen, die die damalige Zeit beherrschten, einen neuen Kult „zusammenbastelte“, kann noch nicht, vermutlich nie, geklärt werden. Vielleicht muss am Ende doch festgestellt werden, dass der römische Mithras dennoch vom indisch/iranischen Mithra abstammt.
Allgemeines
Der Mithraskult ist ein Mysterienkult, der sich vom Ende des 1. vorchristlichen Jahrhunderts an im römischen Reich verbreitete und zum Anfang des 5. Jahrhunderts durch das Verbot von „heidnischen Kulten“ durch das Christentum wieder verschwand. Für den Gläubigen hieß Mysterienkult, dass er sich bestimmten Prüfungen unterziehen musste, um „Mitglied“ werden zu können. Ein weiteres Charakteristikum des Kultes war die Geheimhaltung, dabei war es nicht entscheidend, ob jemand zugab, ein Mitglied der Mithrasgemeinschaft zu sein, sondern er verpflichtete sich zum Stillschweigen über die Inhalte des Glaubens und welche Rituale zu welchen Zwecken durchgeführt wurden, womit Aussagen zu diesen Themen nur sehr schwer getroffen werden können. Dieses Stillschweigen hatte auch zum Ergebnis, dass Spekulationen über Inhalte und über Rituale des Mithraskultes „Tür und Tor“ geöffnet wurden. Dies gipfelte dann in Beschuldigungen, besonders von christlicher Seite, gegen diese Religion, der Teufel ahme bei den dortigen Kulthandlungen die christlichen Sakramente nach.
Im Gegensatz zur offiziellen staatlichen Religion des römischen Reiches, bei der der korrekte Vollzug von Kulthandlungen wichtiger als die persönliche Einstellung des Gläubigen war, stand im Mithraskult der persönliche Glaube im Vordergrund. Denn der Mithraskult gehörte zu den Erlösungsreligionen, die dem Gläubigen Seelenheil versprachen, sowie es aus dem Christentum, Islam oder vom Judentum her bekannt ist.
Mithras - Der stiertötende Gott
Der 1861 in Osterburken gefundene Mithras-Stein ist eines der herausragenden Zeugnisse für den Mithraskult.