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Affekt und Verantwortung in der Aeneis

Vortrag zu Vergils Aeneis – Prof. Dr. Thomas Baier aus Würzburg zu Gast beim Historischen Verein Bauland

Professor Dr. Thomas Baier sprach am vergangenen Dienstagabend am Ganztagsgymnasium Osterburken (GTO) auf Einladung des Historischen Vereins Bauland unter anderem vor zahlreichen Lateinabiturienten zu dem Thema „Affekt und Verantwortung in der Aeneis“. Der Historiker von der Historischen Fakultät der Julius-Maximilians – Universität Würzburg war schon mehrfach im Historischen Verein zu Gast und füllt regelmäßig die Räume.  In seinen rund 75-minütigen Ausführungen nahm sich Baier die Aenais mittels verschiedener Textbeispielen aus seiner universitären Tätigkeit vor.

Er umriss die antiken Vorstellungen von der Motivation menschlichen Handelns. Dabei wies er auch eine – mindestens im literarischen Rahmen – sichtbare Entwicklung der antiken Gedankenmodelle nach, die bis in die heutige Literatur und Forschung abstrahlen. 

Schon unter Vergil galt der Mensch als ein vernünftiges Geschöpf, welches sich von Gefühlen abkoppeln und berechenbar handeln könne. So verdeutlichte Baier anhand des 24. Gesangs der Illias Homers, dass die Griechen Zorn und Mitleid zwar als menschlich, aber nicht als rational ansahen. So könnte man Affekte gar nicht beeinflussen, da sie den Menschen gegeben seien. Damit greift Homer Hegel vor. Zugleich spinnen die Götter das Leben der Menschen wie die Parzen, sind an diesen dann aber desinteressiert. Die sorglosen Götter seien keine moralischen Instanzen und verteilten ihre Gnade und Ungnade willkürlich. Somit müssten auch die Guten leiden. Dies erklärt zugleich die später vom Philosophen Leibnitz aufgeworfene Fragestellung nach den Gründen für die Existenz des Bösen. Spätere griechische Generationen waren damit nicht mehr zufrieden zu stellen.

In der Geschichte der Aeneis dreht der Protagonist dies um. Die Götter seien selbstverliebt und emotional, die Menschen stets rational und abgeklärt. Die Aeneis verweist somit auf die Römer, die die Götter in ihrer Rationalität übertreffen werden. Die im Grunde tyrannischen Götter verstießen nach Philodem ständig gegen die Prinzipien der Pflichterfüllung, die sie schützen sollten. Dies dokumentiere aber ihre Ausnahmestellung, da sie sich das erlauben können. Menschen aber könnten sich durch moralisches Verhalten über die Götter und in der Realität über Tyrannen erheben, indem sie das Leiden stoisch ertrügen und diese durch Prinzipientreue vorführten.  So sei Seneca das Leid kein Übel, sondern nur Anschein des Übels. Das Leiden sei unerheblich, nur die Bewahrung der Tugend zähle. Man müsse sich dem Schicksal freiwillig anpassen; eine leichtfertige Forderung, wenn man der reichste Römer ist, so Baier süffisant. Nach Dimetrios sei nämlich nichts erbärmlicher, als wenn man keine Herausforderungen hat. Damit würden die Götter ein abschätziges Urteil über eine Person fällen.

Der oft leidende Aeneas könne sich in Wirklichkeit glücklich schätzen, da er vom Schicksal gebeutelt sei. Allerdings weise Vergils Aeneas auch epikureische Elemente auf. Die Götter hielten sich nämlich hier weitgehend zurück und verlören somit ihre Daseinsberechtigung. Dies wird anhand des Juppiters zwischen dem 1. und 10. Kapitel der Aeneis deutlich. Somit greift Vergil den Grundlagen eines modernen Menschenbilds vor, in dem die Menschen für sich selbst verantwortlich sind.

Nun folgte nach Baier der praktische Teil, den er mit der Frage nach den Gründen des Erfolgs des „Trojanischen Pferd“ einleitete. Obwohl ein Trojaner seine Leute warnte, seien deren Verstand und göttliche Weitsicht in einer ungünstigen Verkettung verblendet. So habe ein griechischer „Köder“ äußerst geschickt und erfolgreich an die Affekte der friedenssüchtigen Trojaner appelliert und deren Verstand überlagert. Er bringt sie dazu, das Pferd einzuholen. Zu Erklärung dessen bediente sich Baier des Umstandes, dass in der römischen Welt jedes Zeichen positiv oder negativ interpretiert werden konnte.  

Doch zurück zu Aeneas. Kann dieser lernen? In Afrika verliebt er sich seine karthagische Gastgeberin, Königin Dido, und vergisst dabei den Auftrag bei den Karthagern. Der ihm nachgesandte Gott Merkur ermahnt Aeneas, der quasi zum Karthager geworden ist. Dieser erschrickt über die Pflichtverletzung. Aeneas bringt sich so rational selbst zur Räson und bereitet seine Abreise vor.

Vergil hat kein psychologisches Vokabular des Erschreckens, sondern er benötigt diesen bekannten Topos, um Gefühle auszudrücken. Aeneas wird im Sinne der Stoiker geläutert und ist ab dann kein Epikureer mehr. Die Darstellung dieser Textstelle in gelebter Rede unterstreicht die Autorität des Autors. Man kann in erlebter Rede nicht lügen, der Autor tritt über die Figur. Im 19.Jahrhundert wird Thomas Mann diese Art der Darstellung wieder aufgreifen.

Dido bemerkt Aeneas Reisevorbereitung und wirft rasend vor Zorn Untreue vor. Aeneas argumentiert ihr gegenüber rationell juristisch und gemäß seines Götterauftrags, der ihn an der eigenen Entscheidung hindere. In Wirklichkeit aber ist Dido kein erstrebenswertes Ziel, Aeneas würde eher Troja wieder aufbauen. Dido ist ob der Erklärungen empört: sie rettete ihn schließlich. Das Erscheinen des Gottes sei blanker Unsinn. Sie verflucht Aeneas und seiner Nachkommen. Dies begründet die ewige Feindschaft Karthagos mit Rom. Anschließend tötet sie sich selbst. Dido will durch ihr Maximalopfer Aeneas beschämen. Für die Römer war dieser „ira“ (Zorn) der gefährlichste Affekt, da dieser nur Schwache befalle.

Ist Aeneas nun wirklich besser? Baier prüft dies mit der Tötung von Turnus durch Aeneas. Turnus bittet Aeneas um Gnade, da Turnus Vater dessen Ende nicht miterleben soll.  Aeneas zögert und will ihn verschonen, sieht dann aber das Geschmeide eines Ermordeten. Er verliert seine Fassung und tötet ihn wie von Furien getrieben. Aber so schnell schießen die Preußen nicht! So unterscheidet Aristoteles den gerechten, im Unrecht natürlichen Zorn vom Jähzorn, einer rein negativen Eigenschaft. Aeneas ergreift  somit ein gerechter Zorn, der ihn in die Rolle eines Richters bringt. Er tötete also nicht willkürlich und hat am Ende etwas gelernt.

Der Vortrag klang mit den Fragen hinsichtlich der Schuld und den Entwicklungspotentialen des Aeneas aus. Am Anfang war Aeneas achill-ähnlich. Der Tod soll ehrenvoll sein, der Verstand sei egal. Aenas hatte zunächst kein Ziel außerhalb der eigenen Perspektive. Später aber verlässt Aeneas Dido aus Verantwortung. Die Schuldfrage bleibt dennoch statthaft. In einem fiktiven Brief Didos an Aeneas des Ovid stellt sich die Kathagerin als schwanger dar. Die vorhergegangene Liebesszene in einer Höhle bei Gewitter sei somit ein Beleg für den Kampf der Weltbilder, so Baier abschließend.